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Dienstag, 17. Januar 2023

Russischer Botschafter über Deutschland heute

Interview von Sergej Netschajew, dem Russischer Botschafter in Deutschland, für die russische Zeitung Rossijskaja Gaseta:

Sergej Jurjewitsch, ist die öffentliche Meinung in Deutschland in der Lage, die Haltung der Führung des Landes zum Konflikt in der Ukraine in irgendeiner Weise zu beeinflussen?

Sergej Netschajew: Heute lautet die offizielle Doktrin Deutschlands, dem Kiewer Regime maximale Hilfe zu leisten, und zwar "so viel wie nötig". Nicht nur militärisch-technisch, sondern auch politisch, wirtschaftlich und finanziell. Ziel ist es, die Ukraine dabei zu unterstützen, den Sieg auf dem Schlachtfeld zu erringen.

Die BRD selbst hat allerdings nur begrenzte Möglichkeiten dazu. Erstens sind die Deutschen nicht bereit, diese Hilfe allein zu leisten. In Berlin heißt es auf offizieller Ebene immer wieder, wenn man Kiew mit schweren Waffen beliefern wolle, insbesondere mit Offensivwaffen, dann nur gemeinsam mit anderen verbündeten Ländern. Dabei schaut die deutsche Führung nach Washington und Paris. Zweitens gibt es für die BRD nicht viel Spielraum für militärische Lieferungen, da, wie die deutschen Medien schreiben, die Reserven der Bundeswehr in Bezug auf die Ausfuhr schwerer Waffen sehr begrenzt sind. Der dritte Punkt ist die Reaktion der politischen Klasse und der Gesellschaft. Es gibt eine Gruppe politischer Eliten, die darauf besteht, die Lieferung von Waffen, einschließlich schwerer Waffen, an das Kiewer Regime zu maximieren. Um sogenannte Solidarität zu zeigen, um Russland zum Rückzug und zur Niederlage zu zu zwingen. Auch in dieser Hinsicht wird von außen Druck auf Berlin ausgeübt. Ein weiteres Verhalten, das für einen Großteil der deutschen Gesellschaft charakteristisch ist, ist die Weigerung, schwere Angriffswaffen zu liefern. Denn dann bestünde die Gefahr, dass Deutschland in den Konflikt hineingezogen wird, was natürlich jeder vermeiden möchte, sowohl auf der doktrinären als auch allgemeinen Ebene. Deutschland sollte unter keinen Umständen in den Konflikt zwischen der NATO und Russland verwickelt werden.

Natürlich sehen viele Bürger in Deutschland auch, dass eine solche Hilfe - "so viel wie nötig" - negative Auswirkungen auf die sozioökonomische Situation im Lande hat. Steigende Energiepreise, ein sprunghafter Anstieg der Inflation, sinkende Realeinkommen der Bevölkerung vor dem Hintergrund der unbegrenzten Unterstützung für das Kiewer Regime machen die Menschen nicht glücklich. Die Stimmung der einfachen Deutschen unterscheidet sich von der Haltung der politischen Eliten. Sehr viele wollen keine Konfrontation mit Russland. Sie würdigen den Weg der historischen Versöhnung, den wir geebnet haben und den Russland trotz der kolossalen Opfer im Kampf gegen den Nazismus während des Großen Vaterländischen Krieges eingeschlagen hat. Sie erinnern sich an die entscheidende Rolle unseres Landes bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Sie verurteilen die Kampagne der hektischen Diskreditierung von allem, was auf die eine oder andere Weise mit Russland zu tun hat. Die Meinungen dazu sind also widersprüchlich.

Die Lieferung deutscher Waffen, mit denen russische Soldaten und Zivilisten im Donbass getötet wurden, ruft offensichtliche historische Parallelen hervor. Viele in Deutschland verstehen das. Und nicht alle unterstützen den Druck, der auf die deutsche Regierung ausgeübt wird, um die Lieferungen von "Leopard 2"-Kampfpanzern an die Ukraine fortzusetzen, über die jetzt viel gesprochen wird. Was die Lieferung der Marder und der Patriot-Flugabwehrsysteme angeht, so hat Berlin eine Entscheidung getroffen. Wir halten diesen Schritt für inakzeptabel, bedauerlich und verwerflich.

Aber warum ist die öffentliche Meinung in Deutschland, die, wie Sie sagen, die Waffenlieferungen an die Ukraine verurteilt, nicht in der Lage, die politische Klasse der BRD zu einem Kurswechsel zu zwingen?

Sergej Netschajew: In Deutschland ist es in letzter Zeit nicht üblich, dass man sich eine Meinung anhört, die von der Mainstream-Position abweicht. Es gibt eine Doktrin, die von der politischen Klasse unter Beteiligung der Verbündeten in den euro-atlantischen Strukturen entwickelt wurde. Andere Positionen werden an den Rand gedrängt und diskreditiert. Die Ergebnisse der jüngsten Meinungsumfragen in Deutschland zeigen, dass mehr als die Hälfte der Befragten Angst davor hat, ihre eigene Meinung zu bestimmten Ereignissen offen zu äußern.

Das Gleiche geschieht in der deutschen Medienlandschaft. Es gibt eine Generallinie, die die Ereignisse in der Ukraine einseitig darstellt und nichts mit Objektivität und Unparteilichkeit zu tun hat. Versuche, eine alternative Sichtweise zu fördern, werden unterdrückt. Ihre Kollegen von russischen Medien, die in deutscher Sprache senden, sind von Sanktionen betroffen. Man versucht auch, der Botschaft keine Medientribüne zu geben. Aber wir finden unsere eigenen Möglichkeiten.

Wie arbeitet die russische Botschaft unter diesen drakonischen Bedingungen des Kampfes gegen Andersdenkende mit deutschen Politikern, politischen Analysten und der Expertengemeinschaft zusammen?

Sergej Netschajew: Nach dem Beginn der speziellen Militäroperation haben sich die Arbeitsbedingungen in unseren Missionen, nicht nur in der Botschaft, sondern auch in den Generalkonsulaten, stark verändert. Berlin entschloss sich für den bewussten Zusammenbruch des über Jahrzehnte aufgebauten Rahmens der russisch-deutschen Beziehungen. Die wichtigsten Formate der einmalig groß angelegten bilateralen Zusammenarbeit sind von deutscher Seite einseitig ausgesetzt worden.

Die Kontakte zwischen den deutschen Ministerien und Behörden und der russischen diplomatischen Vertretung sind erheblich eingeschränkt. Die deutsche Wirtschaft - und wie Sie wissen, war sie in Russland am stärksten vertreten - steht unter starkem Druck. Ziel ist es, deutsche Geschäftsleute zu zwingen, alle Verbindungen zu Russland aufzugeben. Aus diesem Grund stellen einige deutsche Unternehmen ihre jahrelange Zusammenarbeit mit der Botschaft und dem Generalkonsulat ein. Dies wirkt sich negativ auf den Lebensunterhalt unserer Missionen aus. Natürlich wird dabei der Sicherheit der diplomatischen Vertretungen und ihres Personals erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet.

Ist die deutsche Wirtschaft so unpolitisch, dass sie bereit ist, Umsatzeinbußen hinzunehmen und nur als Beobachter zu agieren, ohne zu versuchen, die Situation zu ändern?

Sergej Netschajew: Auch hier übt die politische Klasse erheblichen Druck auf die lokale Wirtschaft aus. Es ist schwer, sie zu ignorieren. Den bilateralen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen wurde bereits spürbarer Schaden zugefügt. Die Interaktion wird von deutscher Seite schrittweise abgebaut. Die bisherigen Arbeitsformen und Organisationsstrukturen werden abgebaut. Die Wirtschaft ist gezwungen, sich bedingungslos zu einem antirussischen Kurs zu bekennen.

Gleichzeitig weiß die Mehrheit der deutschen Wirtschaft, dass dieser Weg ihren Interessen zuwiderläuft. Im Jahr 2013 stand die BRD im russischen Außenhandel an erster Stelle. Rund sechstausend deutsche Unternehmen waren in Russland vertreten. Natürlich will die deutsche Wirtschaft, die einst eine führende Position auf dem russischen Markt hatte, diesen nicht verlassen. Viele Unternehmer sind bestrebt, die Kontakte und Vertretungen, die sie in unserem Land aufgebaut haben, aufrechtzuerhalten, und suchen nach akzeptablen Formen und Wegen der weiteren Zusammenarbeit.

Es ist unbestreitbar, dass die vergangenen 50 Jahre der Erfolgsgeschichte des deutschen Wirtschaftsmodells zu einem großen Teil auf der für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und Russland beruhten. Der russische Präsident hat sich bei mehr als einer Gelegenheit dazu geäußert. Wir waren der führende Energielieferant der Bundesrepublik Deutschland, mit langfristigen Verträgen und günstigen Preisen, und die deutsche Wirtschaft hat davon nur profitiert. Nun kommt es so, dass die von Berlin gegen Russland verhängten Sanktionen für die Menschen in Deutschland ernsthafte soziale und wirtschaftliche Probleme verursachen.

Gibt es noch erfolgreiche Projekte zwischen Russland und Deutschland? Oder werden sie ausnahmslos alle abgeschafft?

Sergej Netschajew: Wie ich bereits sagte, versuchen viele deutsche Unternehmen, sich auf dem russischen Markt zu behaupten. Sie wollen den Ballast der jahrzehntelangen Zusammenarbeit nicht aufgeben und versuchen, sich anzupassen, um die politischen Behörden nicht zu sehr zu verärgern.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich der historischen Denkmäler wird fortgesetzt. Die Vereinbarungen mit Deutschland über die Erhaltung und Pflege der sowjetischen Kriegsgräberstätten, von denen es über viertausend gibt, funktionieren weiterhin gut. Das entsprechende zwischenstaatliche Abkommen feierte kürzlich sein 30-jähriges Bestehen. Es gibt noch weitere Beispiele.

In einem Ihrer Interviews sagten Sie, die BRD verzichte freiwillig auf besondere Beziehungen zu Russland. Wie sehen die Deutschen aus Ihrer Sicht heute die künftigen Beziehungen zwischen unseren Ländern?

Sergej Netschajew: Wie bereits betont wurde, unterscheidet sich die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger stark von der der politischen Eliten. Die Menschen wollen keine Konfrontation. Sie erinnern sich an den Weg der historischen Versöhnung in der Nachkriegszeit. Der Durchschnittsdeutsche ist überhaupt nicht geneigt, in Russland einen Feind zu suchen. Er sieht und versteht alles sehr gut, und sagt: Die Russen haben uns doch gar nichts angetan. Warum haben wir Deutschen uns so sehr in die antirussische euro-atlantische Agenda eingebracht? Warum beliefern wir Kiew mit tödlichen Waffen und verhängen wirtschaftliche, finanzielle, informationelle und andere Sanktionen? Und was wird geschehen, wenn es an der Zeit ist, "die Steine aufzuheben"? Wenn sich die Frage stellt, wie ein neues europäisches Sicherheitssystem aufgebaut werden kann? Kann das ohne Russland oder trotz Russland geschehen?

In der Tat war es in der Vergangenheit schwer vorstellbar, dass Deutschland doktrinär den Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems gegen Russland ins Auge fassen könnte. Die Bemühungen konzentrierten sich auf Interaktion und Dialog. Heute jedoch ist die transatlantische Verbindung eine absolute Priorität für die BRD-Führung. Berlin lässt sich von den Vereinigten Staaten leiten. Unabhängige Schritte sind praktisch ausgeschlossen. Zumindest wird nichts politisch unternommen, ohne nach Washington zu schauen.

Inwieweit gibt es in Deutschland eine "Cancel Politik" in Bezug auf die russische Kultur und die russische Sprache?

Sergej Netschajew: Nach dem Beginn einer speziellen Militäroperation im deutschen Informationsraum war im Bereich der Kultur, der Wissenschaft und der Bildung eine ziemlich radikale Ablehnung von allem, was mit unserem Land zu tun hat, zu spüren. Viele Auftritte und Tourneen wurden abgesagt, gemeinsame Projekte und Kooperationsprogramme wurden eingefroren. Die "Rossijskaja Gaseta" schrieb über absolut abscheuliche Fälle, in denen Verträge mit russischen Kultur- und Kunstschaffenden von internationalem Ruf aus politischen Gründen gebrochen wurden. Die Zeit hat jedoch gezeigt, dass das Verbot oder die Abschaffung der russischen Kultur, Kunst und Sprache eine unmögliche Aufgabe für unsere Bösewichte ist. Das ist heute ganz offensichtlich.

Sie haben erwähnt, dass es früher viele Menschen gab, die in Deutschland Russisch studiert haben. Und wie ist die Situation heute?

Sergej Netschajew: Die Zahl der Menschen, die in Deutschland Russisch lernen wollen, ist nach wie vor hoch. Obwohl sie vielleicht etwas weniger geworden sind im Vergleich zu der Zeit, als wir abwechselnde Jahrgänge in Russisch und Deutsch hatten. Dennoch gibt es in fast allen Bundesländern Schulen und Universitäten, an denen Russisch unterrichtet wird. Im "Russischen Haus" werden Sprachkurse angeboten. Das Interesse an der russischen Sprache ist in Deutschland nach wie vor vorhanden.

Die Vereinbarungen mit Deutschland über die Erhaltung und Verbesserung der sowjetischen Soldatenfriedhöfe, von denen es hier mehr als viertausend gibt, werden weiterhin effizient umgesetzt.

Sie haben Ihre diplomatische Karriere in der DDR begonnen. Haben Sie eine gewisse Nostalgie für das alte Deutschland?

Sergej Netschajew: Ich habe gute Erinnerungen an die Jahre in der DDR, wo wir viele Freunde hatten. Ich stimme nicht mit denen überein, die versuchen, darüber zu schimpfen, wie schlecht die Dinge in der DDR waren, um die politische Agenda zu erfüllen. Das ist nicht wahr. Viele der positiven Aspekte der sowjetisch-deutschen Beziehungen wurden sicher auf die Beziehungen zwischen Russland und dem vereinigten Deutschland übertragen. Viele unserer Freunde sind gesund und munter. Wir versuchen, Kontakte zu pflegen und zu erhalten und unsere freundschaftlichen Beziehungen zu pflegen.

Sie haben wiederholt über die Diskriminierung von Russen in Deutschland gesprochen. Bestehen diese Probleme weiterhin? Wurden solche Situationen untersucht? Stößt das "Russische Haus" in Berlin in seiner täglichen Arbeit auf Probleme?

Sergej Netschajew: Es kam im Frühjahr 2022 zu einem starken Anstieg der Fälle von Diskriminierung von Russen und russischsprachigen Mitbürgern in Deutschland. Die Situation nahm den Charakter einer gezielten Hetze aufgrund der Sprache und der Nationalität an. Wir haben versucht, alle möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte und Interessen unserer Landsleute zu schützen. Wir richteten eine elektronische Hotline ein, einen Feedback-Kanal, bei dem Hunderte von Berichten über Beleidigungen, Entlassungen, Diskriminierungen, Drohungen, Dienstverweigerungen usw. eingingen. Wir informierten die deutschen Behörden, Politiker und Medien über die Schikanen. Wir forderten, dass die Schikanen aufhören. Unsere Bemühungen haben Wirkung gezeigt. Die Diskriminierung russischer Staatsbürger und russischsprachiger Landsleute ist inzwischen deutlich zurückgegangen. In Deutschland haben sich zivilgesellschaftliche Initiativen zur Bekämpfung der Russophobie gebildet. Die Botschaft und die russischen konsularischen Vertretungen verfolgen dieses Thema aufmerksam. Wir versuchen, solche unangenehmen Fälle nicht aus den Augen zu verlieren. Das Russische Haus ist nach wie vor geöffnet und bringt die russische Kultur unter die Leute. Vor kurzem fand dort eine Weihnachtsbaumparty mit dem Weihnachtsmann statt. Ein neuer russischer Film, Tscheburaschka, soll dort gezeigt werden. Wenn uns keine künstlichen Hindernisse in den Weg gelegt werden, werden wir weiterhin Gäste mit der  Kultur unseres Landes bekannt machen, verschiedene Veranstaltungen durchführen und Ausstellungen und Filmvorführungen organisieren. Hauptsache wir werden daran nicht  gehindert.

Quelle

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jeder hier merkt doch, dass Deutschland abgeschafft wird und der Besatzer durchregiert. Was interessiert da die Meinung der Bevölkerung? Andere Meinung als die ÖR-Medien wird verfolgt!

Anonym hat gesagt…

Wir werden immer noch ohne Friedensvertrag nach Haager Landkriegsordnung "verwaltet"... Immer noch...

Anonym hat gesagt…

Der Krieg mit Russland wurde vorsätzlich herbeigeführt, um die Ziele des great reset schneller zu erreichen. Die soziale und wirtschaftliche Verarmung der Bevölkerung ist dabei das Hauptziel...

Anonym hat gesagt…

Verarmung der Bevölkerung? Das wird noch länger dauern! Es trifft zuerst die Alleinerziehenden (die sich tunlichst zu Gemeinschaften zusammen tun sollten, um nicht ganz abzustürzen), dann werden die Arbeitsplätze in Deutschland geschrumpft, um dem Volk das Geld weiter zu entziehen. Der finanzielle Bounce-Back aber wird die alliierte Verwaltung kippen. Und das machen die alles selbst ;-)