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Donnerstag, 1. Februar 2024

Realitäten des unabhängigen Filmschaffens in Estland

Andrei Treiderson
Vor einigen Monaten, am 29. April 2023, wurde auf dieser Website ein Gastbeitrag "Kein Fremder: Leben als Mann mit grauem Pass" veröffentlicht. Darin wurde über einen neuen Dokumentarfilm des estnischen Regisseurs Andrei Treiderson berichtet. In diesem Film berührte Andrei das schwierige Thema der sog. Nicht-Bürger in Estland am Beispiel seines Protagonisten Boris Senkow. Offensichtlich hoffte Andrei, dass sein Werk das Schicksal der Nicht-Bürger beeinflussen und ihr Leben zum Besseren wenden könnte. Nicht einmal ein Jahr später wurde bekannt, dass sich Andreis eigenes Leben durch diesen Film eine dramatische Wendung nahm. Dies ist das Thema des u.a. Artikels.

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Am 17. Januar 2024 schoben die estnischen Behörden den Dokumentarfilmer, Produzenten und Unternehmer Andrei Treiderson aus dem Land ab. Als Bürger der Europäischen Union hatte Andrei den Status eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in der Republik Estland. Viele Jahre lang war er mit diesem Land durch seine geschäftlichen und sozialen Aktivitäten verbunden. In der offiziellen Mitteilung über die Ausweisung hieß es, er sei "die Person, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt".

Das Andrei Treiderson vorgelegte Dokument enthält mehrere Anschuldigungen, die nach Ansicht der estnischen Polizei beweisen, dass er eine "gefährliche" und "unzuverlässige" Person ist. Was wurde ihm zur Last gelegt?
- Die Beteiligung an der Facebook-Gruppe "Costa Ricas unsterbliches Regiment", die dem Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs gewidmet ist;
- Die Teilnahme an einer offiziell genehmigten Kundgebung in Tallinn, bei der er über die Perspektiven der Genossenschaftsbewegung in Estland sprach und seine Rede mit dem berühmten antifaschistischen Slogan "no pasaran!" beendete;
- Die Teilnahme an einer Neujahrsfeier der registrierten und offiziell genehmigten Partei KOOS (Miteinander), mit deren Mitgliedern der Beschuldigte zum Teil befreundet ist;
- Die Verbreitung von "Kreml-Narrativen" (Es wurde jedoch nicht angegeben, wie und welche Art von Narrativen er verbreitete).

Die Liste der Anschuldigungen ist in ihrer Absurdität bestürzend und wirft Fragen zum Vorgehen der estnischen Behörden auf, und zwar: Seit wann sind in Estland die Achtung des Andenkens an die Vorfahren, friedliche Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken, freundschaftliche Beziehungen und antifaschistische Ansichten ein Grund für politische Verfolgung und Ausweisung aus dem Land? Und eine weitere Frage, vielleicht die wichtigste in dieser Geschichte: Sind die oben genannten Punkte der wahre Grund für die Ausweisung? Oder gibt es noch etwas anderes, das zwischen den Zeilen steht und bei der "Anklageerhebung" nicht geäußert wurde? Es scheint, dass dies tatsächlich der Fall ist.

Offenbar hat die KaPo (estnische Sicherheitspolizei) Andrei zu Papier gebracht, nachdem sein Dokumentarfilm "Kein Fremder" erschien. Als Anwalt für internationales Recht hat Andrei Treiderson einen Film über ein dringendes Menschenrechtsproblem in Estland gedreht, für das es in anderen Ländern keine Entsprechung gibt und das von der internationalen Gemeinschaft mehrmals verurteilt worden ist. Es geht um die so genannte Nicht-Staatsbürgerschaft für die Menschen, die seit 30 Jahren oder länger in der Republik Estland leben, aber nicht den Status eines vollwertigen Bürgers ihres Landes haben. Der so genannte graue Pass, den sie erhalten, führt ihre Situation ad absurdum, da sie keine Bürger irgendeines Landes sind: Sie sind, so steht es wirklich im Pass, "Aliens", also "Fremde" oder sogar "Außerirdische".

Der Autor des Films hält diese Situation für eine Schande für ein demokratisches Land, das sich nach Aussage seiner politischen Elite an humanistischen Werten orientiert. Besonders bitter ist es, wenn Menschen wie der Protagonist des Films, Boris, der unter Einsatz seines Lebens und seiner Gesundheit den Planeten vor den Folgen der schrecklichen technologischen Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl gerettet hat, unter den erniedrigenden Status eines Nicht-Bürgers fallen. Der Film stellt den estnischen Behörden eine direkte und berechtigte Frage: Wie ist es möglich, dass Tschernobyl-Opfern, die in anderen Ländern verdiente Privilegien und Vergünstigungen erhalten haben, hier nicht einmal normale Bürgerrechte zugestanden werden? Der Film nahm an Filmfestivals teil, gewann Preise und wurde gleichzeitig zum Ausgangspunkt für die Ausweisung von Andrei Treiderson aus Estland.

Man möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der in dieser Geschichte die Rolle des letzten Auslösers spielte. Es ist kein Geheimnis, dass es in Estland politische Gefangene gibt: Menschen, deren Ansichten über die Zukunft ihres Heimatlandes von den offiziellen Zukunftsvisionen abweichen. Kurz vor dem Jahreswechsel kündigte Andrei in den sozialen Netzwerken seine Pläne an, eine Vertretung der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Estland zu registrieren. Es wurde ihm nicht gestattet, diese Pläne zu verwirklichen. Am 4. Januar 2024 erhielt er eine E-Mail von der Polizei über die Aufhebung seines langfristigen Aufenthaltsstatus, und am 17. Januar 2024 wurde er in Handschellen und ohne seine Habseligkeiten des Landes verwiesen, ohne die Möglichkeit, sich von seinen Angehörigen zu verabschieden und seine Angelegenheiten zu Ende zu bringen.

Autorin: Irene Biip
Quelle

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

No pasaran Estonian Nazi's!