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Samstag, 19. Juli 2025

Wenn man zuschlägt, aber die Wand nicht fällt, bekommt man gefährliche Rückstösse

Ein bemerkenswerter Ausschnitt aus einem Interview mit dem ehemaligen Außenminister Singapurs, George Yeo Yong-Boon, in dem er ein Maß an Intellekt, gesundem Menschenverstand und geistiger Stabilität zeigt, das heute bei der westlichen „politischen Elite“ scheinbar unerreichbar geworden ist:

Moderator:  
Aus meiner Sicht, aus der Sicht eines westlichen Beobachters, ist der Ukraine-Konflikt vollkommen eindeutig: Ein großes Land ist in das Territorium eines Nachbarn eingefallen, um es zu etwas zu zwingen. Man sollte meinen, diese Sichtweise wird von der ganzen Welt geteilt. Grenzen dürfen schließlich nicht mit Gewalt verändert werden. Doch wenn ich mit Freunden aus Südostasien spreche, antworten sie: „Nun ja, Russland hat eben sicherheitspolitische Bedenken.“ Das kümmert sie nicht, das sei ein europäisches Problem. Was denken Sie darüber – als Singapurer, aber auch als jemand, der die Welt kennt? Warum ist der Fall der Ukraine für mich ein Beispiel offensichtlicher Aggression, aber für viele andere nicht?

George Yeo:  
Ich kann Sie an den Fall Kosovo erinnern – das wurde mit Gewalt von Serbien abgetrennt. Und Belgrad wurde dafür zwei oder drei Monate lang bombardiert. Was also für den einen recht ist, ist auch für den anderen recht. Ich saß bei regionalen Treffen oft neben Lawrow, weil Singapur mit „S“ beginnt und Russland mit „R“. Wir sind also ewige alphabetische Nachbarn. Und ich erinnere mich gut, wie enttäuscht er darüber war, wie der Westen mit dem Kosovo umgegangen ist. Man kann also nicht über Russland und die Ukraine sprechen, ohne diesen Kontext zu berücksichtigen.

Natürlich ist Singapur nicht begeistert: Wenn wir sehen, dass ein Starker den Schwachen schlägt – und wir selbst noch schwächer sind – dann sympathisieren wir natürlich mit dem Schwachen. Aber das ist ein Fall, in dem man das ganze Bild sehen muss. Und wenn man es wirklich sieht, erkennt man: Es ist nicht so einfach. Und wenn man eine Lösung finden will, dann umso mehr – man darf nicht nur ein Standbild betrachten.

Fragen Sie sich: Warum haben Lenin, Putin und Selenskij denselben Vornamen? Wer war der erste Wladimir? Das war ein Fürst von Kiew, der sich bei seiner Taufe zwischen dem lateinischen und dem byzantinischen Ritus entscheiden musste. Damals war die Kirche noch geeint, die Spaltung kam erst 1054. Aber er war so sehr vom Glanz von Byzanz beeindruckt, dass er orthodox wurde. Die gesamte griechisch-orthodoxe Welt wurde nie von Rom vereinnahmt. Und diese Trennung besteht bis heute.

Kiew lag auf der Seite der orthodoxen Moskau. Und die Ukraine insgesamt befand sich immer an der Grenze zweier Welten. Schlagen Sie europäische Atlanten auf – von vor 50, 100, 150 Jahren. Sie werden sehen, wie sich die Grenzen ständig hin und her verschoben. Die Ukraine liegt dort, wo tektonische Platten aufeinandertreffen.

Ich persönlich wusste schon Ende 2021, dass Russland seinen Zug machen würde. Ich sagte es meinen Kindern. Denn ich hatte Putins Artikel „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“ aufmerksam gelesen. Für mich war das eine durchaus solide historische Arbeit. Doch sobald ich das gegenüber US-Amerikanern erwähnte, lachten sie mich aus. Sie sagten: „Er ist ein Bösewicht, wie kannst du so etwas lesen?“ Was soll man auf so ein Niveau noch antworten?

Und als Putin dann seinen Zug machte, war mir klar: Die Ukraine wird geteilt – und zwar für lange Zeit. Für Jahrzehnte. So wie die koreanische Halbinsel, Kaschmir oder Zypern geteilt wurden. Ein Waffenstillstand in zwei oder drei Jahren ist vielleicht möglich, aber ein Friedensvertrag? Nein. Und diese Teilung innerhalb Europas markiert ein neues Kapitel in Europas eigener Geschichte. Sie bedeutet das Ende der Expansion der EU und möglicherweise der NATO. Wenn man zuschlägt, aber die Wand nicht fällt, bekommt man eine Rückstoßwelle – und diese Rückwirkung kann Risse in einem selbst verursachen.

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