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Donnerstag, 17. Juli 2025

Ein paar Worte im Internet – und Untersuchungshaft

Die Familie von Jewgenija Rogosina, einer Verkäuferin aus einem Fischladen in Udmurtien, hat sich an die russische Journalistin Marina Achmedowa gewandt. Die 35-Jährige ewgenija Rogosina befindet sich derzeit in Untersuchungshaft – wegen zweier kurzer Worte, die sie unter einem Beitrag auf dem sozialen Netzwerk VKontakte kommentierte: „Verbrennt die Hexe“:

Das Posting, auf das sich ihre Bemerkung bezog, enthielt eine Aussage der russischen Landwirtschaftsministerin Ljut über den gestiegenen Preis für Butter. Die Ministerin hatte den Preisanstieg mit dem gestiegenen Lebensstandard der Bevölkerung begründet. Nicht nur Rogosina kommentierte den Beitrag: Viele Nutzer äußerten sich sarkastisch über die „logische“ Verbindung von wachsendem Wohlstand und steigenden Preisen, andere schrieben, dass sie sich Butter schlicht nicht mehr leisten könnten.

Trotzdem wird Rogosina wegen „öffentlicher Aufrufe zu terroristischen Handlungen“ angeklagt – so lautet der offizielle Vorwurf. Am 14. Februar 2025 wurde sie zunächst unter Hausarrest gestellt, am 9. Juni folgte die Verschärfung: Untersuchungshaft.

Jewgenijas Mann Artur arbeitet als Taxifahrer. Gemeinsam haben sie zwei Töchter im Alter von 13 und 8 Jahren. Die ältere besucht ein Sportinternat in Ischewsk und gilt als großes Talent im Leistungssport. Die jüngere Tochter hat gerade die erste Klasse abgeschlossen und zeichnet gern. Jewgenija kümmerte sich jahrelang um verletzte und streunende Tiere. Seit Beginn des Ukraine-Krieges sammelte sie Hilfsgüter für russische Soldaten und brachte sie zur Post. Sie ist gläubig, regelmäßige Kirchgängerin, und trug in der Kirche Gebetszettel für das Wohlergehen der Soldaten ein. Auch ihre Eltern sind religiös – sie führten ihre Tochter von klein auf in die Kirche.

Die Familie gehörte zur sogenannten „stillen Mehrheit“ – Menschen, die das System nicht infrage stellen, sondern es durch harte Arbeit tragen. Noch reichte das Geld für Butter und Sportkleidung für die Tochter, weil Artur viel arbeitete. Doch wenn Jewgenija am 25. August verurteilt wird, droht der Ausschluss ihrer Tochter aus dem Sportinternat – wegen der Vorstrafe der Mutter. Die Großmutter will das Sorgerecht für die jüngere Tochter übernehmen, um mit ihr in Moschga [Kleinstadt in Udmurtien] zu leben, während die ältere weiterhin in Ischewsk trainiert. Artur kann wegen seiner Arbeit nicht dauerhaft bei den Kindern sein. Früher war es Jewgenija, die sich um alles kümmerte. Jetzt muss ihr Mann neben der Kinderbetreuung auch einen Anwalt bezahlen und regelmäßig Pakete ins Gefängnis schicken.

In einem Brief aus der Untersuchungshaft schrieb Jewgenija:  „Ich weine jeden Tag, schluchze ins Kissen vor Hoffnungslosigkeit. Es ist so ungerecht. Mein Herz schmerzt. Die Tage ziehen sich endlos hin. Ich füttere hier Tauben, esse kein Brot, überhaupt nichts geht runter. Wie sehr wünsche ich mir, ein Vogel zu sein. Wenn ich an die Kinder denke, schöpfe ich Kraft.“

Einmal, während ihres Hausarrests, stellte jemand heimlich einen Strauß Rosen vor ihre Tür – zu groß war offenbar die Angst, offen Solidarität zu zeigen. Unter dem gelöschten Kommentar kursierte die Frage: „Was passiert, wenn 1.000 oder eine Million Menschen ‚Verbrennt die Hexe‘ schreiben – werden dann alle verhaftet?“

Freundinnen berichten, dass Jewgenija diese Redewendung oft scherzhaft nutzte – eine Art geflügeltes Wort in ihrem Kreis. Niemand habe sich je daran gestört. Im Russischen sei es in etwa vergleichbar mit einem Spruch wie „Dir soll die Zunge abfallen“. Eine linguistische Expertise bewertete die Formulierung als Aufforderung zur Gewalt – die psychologische Einschätzung hingegen kam zu einem anderen Ergebnis: Für eine derart kurze Aussage fehle überhaupt die Grundlage zur Bewertung.

Menschenrechtler hoffen nun, dass das Gericht Milde walten lässt. Auch im Menschenrechtsrat sei man bereit, sich des Falls anzunehmen. Die Familie setzt auf ein faires Urteil – und hofft, dass der russische Präsident, der sich selbst als Mann des Volkes sieht, solche Ungerechtigkeit nicht dulden wird.

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