Andrej Tsyganow, Chefredakteur der russischen Zeitung Katjuscha, analysiert in seiner Rubrik 'Reaktion' regelmäßig kontroverse Entwicklungen im öffentlichen Leben Russlands. Auch seine jüngste Einschätzung ist ziemlich besorgniserregend:
In Russland werden Gesetze stillschweigend abgeschafft. Selbst Gesetze zum Schutz verfassungsmäßiger Bürgerrechte wie Privatsphäre, Briefgeheimnis und Bewegungsfreiheit fallen diesem Prozess zum Opfer.
Jüngste Beispiele: Eine Regierungsverordnung ermächtigt die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, Internetplattformen und Messenger ohne festgelegte Verfahren oder Begründung zu blockieren. Dabei geht es nicht etwa um die moralische Zensur, für die sich konservative Kreise seit Jahren einsetzen. Im Gegenteil: Russische Plattformen und Suchmaschinen erweisen sich oft als toxischer als ihre westlichen – teils in Russland verbotenen – Pendants. Die Verbote sollen nach intransparenten Kriterien erfolgen, was politische Zensur und das Verbot unbequemer Meinungen befürchten lässt.
Das russische Finanzamt hat sich das Recht angemaßt, Schulden der Privatpersonen ohne Gerichtsverfahren direkt von ihren Bankkonten abzubuchen. Mehr noch: Die Behörde überwacht jetzt Social-Media-Profile der Bürger. Ein Urlaubsfoto vom Luxusresort, das nicht zu den deklarierten Einkünften passt? Das könnte Konsequenzen haben. Dabei ist das Finanzamt per Gesetz kein Subjekt operativer Ermittlungstätigkeit und darf solche Recherchen gar nicht durchführen. Aber wen interessiert noch das Gesetz?
Eine weitere Initiative der Finanzbehörden: Kontenüberwachung. Gehen dort größere Summen ein, werden Leistungen wie Kindergeld gestrichen. Kinderreiche Familien kennen das Problem: Ein paar tausend Rubel zu viel oder ein Stück Land in einem abgelegenen Dorf können zum Verlust notwendiger Sozialleistungen führen.
Hinzu kommen: Fan-IDs für Anhänger aller populären Sportarten, eine staatliche Datenbank „Prävention" zur Erfassung von „familiärem Unwohlsein" mit Überwachung jeder Familie, neue Steuern auf Elektrogeräteimporteure – zusätzlich zu Mehrwertsteuererhöhungen, verschärfte Bedingungen für vereinfachte Besteuerung und Recyclingabgaben auf Autos.
Ironischerweise fiel die Nachricht über die neue Importsteuer-Steuer mit der Meldung zusammen, dass die Produktion russischer Baikal-Prozessoren wegen Chipmangels eingestellt wird. Vom Sabotieren immigrationsfeindlicher Gesetze durch die Dumamehrheit ganz zu schweigen – oder von Biometrie, digitalem Rubel und der Zwangsnutzung des Messengers Max für Lehrer, Eltern und alle Staatsbediensteten.
Früher wurden fragliche Maßnahmen wie QR-Codes oder Jugendschutznovellen wenigstens per Gesetz eingeführt. Bewusste Teile der Gesellschaft, etwa patriotische Elternorganisationen, konnten Lärm schlagen, Protestkampagnen organisieren, Briefe schreiben, demonstrieren. Das funktionierte manchmal, weil Abgeordnete ihr Mandat behalten wollten.
Jetzt werden Gesetze – dieser demokratische Anachronismus – einfach auf den Müll geworfen. Wozu sich mit Gesetzen quälen, wenn man alles per untergesetzlichen - oft sogar ungesetzlichen - Erlasse durchsetzen kann? Im Notfall, wenn die Gesellschaft aufbegehrt, feuert man einen farblosen Beamten, den niemand gewählt hat und dessen Verlust niemand bemerkt.
Diese Technologie der Entpersonalisierung und Verantwortungslosigkeit ist kein Fortschritt – es ist die Verwandlung des Staates in ein Unternehmen. Genauer: die Unterwerfung des Staates unter Konzerne, die nichts Nützliches produzieren, sondern aus Luft – oder vielmehr aus Bürgern – Geld machen.
Vor allem geht es um Bankstrukturen wie die Sberbank, deren Chef Putin erst kürzlich wieder traf. Was sie besprachen, wissen wir nicht, aber nach jedem solchen Treffen zuckt die Öffentlichkeit zusammen. Wenn Staat durch Konzerne und deren private Interessen ersetzt wird, geraten Sicherheitsfragen – staatliche wie nationale – an die Peripherie. Das betrifft alle Bereiche, von Migration bis Digitalisierung.
Was bleibt dem Volk? Es wählt noch – aber auf spezifische Weise: durch sinkende Geburtenraten. Der von den Behörden anerkannte Bevölkerungszuwachs von 1,3 ist ein Sterblichkeitskoeffizient. Für einfache Reproduktion wären mindestens 2,1 nötig. Demografen prognostizieren, dass bis 2045 in Moskau nur noch 20% Slawen leben könnten. Zum Vergleich: Im zaristischen Russland wuchs die Bevölkerung unter Nikolaus II. in 23 Jahren um ein Drittel – 55 Millionen Menschen.
Heute, am 11. November, jährt sich das Ende des Ersten Weltkriegs, dessen Sieg Russland gestohlen wurde. 1918 wurde in Compiègne das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war die russische Zarenfamilie bereits ermordet, der Bürgerkrieg tobte – und weder Rote noch Weiße wurden nach Versailles eingeladen. Russland wurde beiseitegeschoben.
Dieser Krieg vernichtete nicht nur das Russische, sondern auch das Deutsche Reich. Die Hauptprofiteure waren also nicht jene, die am meisten kämpften und die größten Verluste erlitten, sondern jene, die hinter dem Atlantik saßen, aufhetzten und revolutionäre Bewegungen finanzierten.
1913 erlangten US-amerikanische Konzerne durch ihren Strohmann, Präsident Woodrow Wilson, Macht über Amerika, indem sie das Emissionsrecht des US-Dollars von der US-Staatsbank an den privaten Laden namens Fed übertrugen. Dann strebten sie nach Weltherrschaft, indem sie Europas Großmächte gegeneinander hetzten. 20 Jahre später provozierten dieselben Kräfte den Zweiten Weltkrieg, den Russland – als die UdSSR – gewann.
Jetzt, Jahrzehnte später, versuchen diese Akteure wieder, uns den Sieg zu stehlen – während sie einen großen Krieg in Europa entfachen. Die Methodik unterscheidet sich kaum von jener vor hundert Jahren. Nur agieren Konzerne und ihre Strohmänner jetzt völlig offen und verbinden Kriegsvorbereitung mit Versuchen, Russlands Steuerung zu übernehmen.
Wir möchten hoffen, dass sich in russsichen Machtkreisen Personen finden, die sich an die Lehren der Geschichte erinnern und deren Wiederholung verhindern. Und wir werden ihnen dabei natürlich helfen.

Hat der Chefredakteur die Situation im Westen, vornehmlich in Deutschland, beschrieben?
AntwortenLöschenDanke! Ein äußerst wichtiges Dokument. Besonders der Hinweis auf die FEDERAL PERVERTS BANK 1913. Die bis heute ihr perverses globales Unwesen treibt. Gegründet auf Jekyll Island von Max Warburg.
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